Welch ein Wochenende: Bis ins Endspiel sind die Handballerinnen des VfL Oldenburg beim Final4 in der Stuttgarter Porsche Arena gestürmt, gewannen im Halbfinale das Nordderby gegen den Buxtehuder SV und verlangten dem großen Favoriten SG BBM Bietigheim im Kampf um den Pokalgewinn alles ab. Am Ende durften sie mit ihren Fans über die Silbermedaille jubeln. Nach dem zwölften Tabellenplatz in der Liga war es ein grandioses Wochenende – das sogar im Europapokal enden könnte. Ein Rückblick:  

Der Halbfinal-Triumph

Als die Schlusssirene ertönte, gab es kein Halten mehr: Überschwänglich feierten die Oldenburgerinnen mitten auf dem Spielfeld ihren 28:26-Derby-Erfolg im Halbfinale gegen den Buxtehuder SV. Viele hatten den Tabellendritten aus Buxtehude als großen Favoriten im Duell der beiden Nord-Teams gesehen – doch mit einem aufopferungsvollen Kampgeist und einem enormen Willen kämpften sich die Huntestädterinnen in das Finale um den DHB-Pokal. „Wir haben alles reingehauen und überragend gespielt“, sagte Merle Carstensen.

Die Top-Torschützin

Carstensen selbst hatte einen großen, wenn nicht sogar den größten Anteil daran, dass der VfL den Finaleinzug schaffte. Gegen den BSV erzielte die 27-Jährige elf Tore für Oldenburg. Im Finale am Sonntag legte sie dann noch acht weitere Tore nach – und wurde bei der Siegerehrung als Top-Torschützin des Final4 ausgezeichnet. „So wirklich im Blick hatte ich nicht, wie viele Tore ich im Finale eigentlich geworfen hatte“, gestand sie im Anschluss, sichtlich gerührt über die Auszeichnung. Das Wochenende in Stuttgart dürfte sich für die gebürtige Flensburgerin ohnehin wie ein Traum angefühlt haben.

Bis 2020 spielte sie noch für den TSV Nord Harrislee in der 2. Bundesliga, ehe sie nach Oldenburg ins Oberhaus wechselte. „Wenn mir das jemand vor zweieinhalb Jahren gesagt hätte, dass ich einmal hier beim Final4 spielen würde, dann hätte ich das nicht für möglich gehalten“, sagte Carstensen: „Das ist für mich etwas ganz Besonderes, eine große Ehre, hier zu spielen. Und dann noch einen kleinen eigenen Preis mit nach Hause zu nehmen, ist wirklich unglaublich.“

Die VfL-Fans

Auch die mitgereisten Oldenburger Fans hatten ihren Anteil daran, dass sie mit ihrer unglaublichen Unterstützung von der Tribüne die Mannschaft bis ins Finale peitschten. Über 120 Fans hatten sich auf den Weg aus dem hohen Norden in Richtung Stuttgart gemacht – ganz egal ob im Fan-Bus oder in Privatautos. „Das war eine Wahnsinns-Kulisse“, zeigte sich VfL-Geschäftsführer Andreas Lampe begeistert: „Wenn man überlegt, dass alle dafür quer durch die gesamte Republik reisen mussten, ist das der absolute Wahnsinn.“

Einige der Fans ihnen machten sich sogar nach dem geschafften Finaleinzug am Sonntagmorgen noch auf den Weg gen Süden. Und: Die immense Lautstärke schwappte bis aufs Spielfeld – und sorgte sogar dafür, dass die Fans am Finaltag auf den Einsatz ihrer Tröten verzichten mussten. „Das zeigt, was die Mannschaft ausstrahlt und wie sehr sie die Fans begeistern kann. Ich hoffe, dass wir die Stimmung in Zukunft ein wenig in der EWE-Arena auffangen können, auch wenn ein Ligaspiel natürlich etwas anderes ist als ein Finalspiel im Final4“, sagte Lampe: „Ich glaube aber, dass man an der Reaktion der Mannschaft gesehen hat, wie sehr sie sich über die Unterstützung gefreut hat. Diese Fans im Rücken zu haben, gibt auf jeden Fall ein richtig gutes Gefühl.“

Die Final-Niederlage

Es gab ihn, diesen einen kleinen Moment, in dem man das Gefühl hatte, dass der VfL nach den anfänglichen Schwierigkeiten vielleicht wirklich für die ganz große Sensation sorgen könnte. Doch dichter als beim 9:11 durch Maike Schirmer (21. Minute) kam der VfL gegen die SG BBM Bietigheim, das Team, das in dieser Saison einfach nicht zu schlagen war, nicht mehr heran – auch wenn man alles versuchte. „Wir haben gut mitgehalten im Finale“, fand Torhüterin Julia Renner. „Hintenraus ist Bietigheim dann besser, da fehlt uns noch ein wenig die Puste.“

„Wir haben im Finale gegen eine Mannschaft wie Bietigheim, die in dieser Saison alle gewonnen hat, 30 Tore geworfen. Darauf können wir extrem stolz sein“, betonte Merle Carstensen. In der Tat: Gerade einmal in zwei weiteren ihrer insgesamt 44 Saisonspielen kassierten die Bietigheimerinnen 30 oder mehr Gegentore. Dazu war der couragierte Auftritt über weite Strecken der Partie beeindruckend. Carstensen: „Da fühlt sich der zweite Platz schon fast an wie der erste.“

Die beste Torhüterin

Es war fast so, als ob die Zeit gestehen geblieben war, als sich im Rahmen der Siegerehrung der Lichtkegel in der abgedunkelten Halle auf Julia Renner richtete. Wie 2018, als der VfL überraschend den Titel gewonnen hatte, stand die Oldenburger Torhüterin für einen Moment wieder ganz allein im Mittelpunkt: mit der Auszeichnung als beste Torhüterin des Turniers. Insbesondere im Halbfinale gegen Buxtehude, aber auch im Endspiel gegen Bietigheim war die VfL-Keeperin der so sichere Rückhalt für die junge Mannschaft und wurde nicht nur von den eigenen Fans für ihre Paraden mit Sprechchören frenetisch gefeiert. „Klar hätte ich mir noch lieber den Pokal gewünscht“, gestand sie später: „Aber hier stehen so viele gute Torhüterinnen im Tor. Da ist es natürlich toll, zum Ende der Karriere noch einmal diese Auszeichnung zu bekommen.“

Nach 17 Jahren im VfL-Trikot war es mit der Finalteilnahme ein Abgang, den Renner wohl kaum hätte besser treffen können. „Man kann sich an die Highlights über all die Zeit einfach noch so gut erinnern, ganz egal ob die Pokalsiege oder der Challenge Cup. Diese tollen Momente bekommst du einfach nirgendwo anders als im Sport“, blickte sie zurück. „Aber das wichtigste sind eigentlich die Menschen, die ich kennengelernt habe. Die vielen Freundschaften, die entstanden sind, die Zeit, die man zusammen verbracht hat. Das alles möchte ich einfach nicht missen. Ich bin so froh, dass ich einen Teamsport mache und die Siege, mit diesen tollen Momenten mit ganz vielen Leuten teilen kann.“

Das Team

Ein gemeinsames Team – das waren die Oldenburgerinnen nicht nur in dieser Saison, sondern insbesondere am Final4-Wochenende. Ganz egal ob bei den letzten Trainingseinheiten, beim gemeinsamen Abendessen, den Busfahrten, beim Aufwärmen und ganz besonders während der 60 Minuten auf dem Spielfeld. Jede Spielerin kämpfte nicht nur für sich, sondern auch für die Teamkolleginnen neben sich, für die gesamte Mannschaft – zu dem auch das Trainerteam, Physiotherapeuten, Teammanager und viele mehr zählten. Das war ein echtes Gemeinschaftsgefühl, das auch Außenstehende zu spüren bekamen. „Es war ein megageiles Wochenende“, fand auch Keeperin Julia Renner: „Schon als wir am Freitag in der Arena trainiert haben, war es ein richtig schönes Gefühl.“

Das nahmen die VfL-Frauen dann mit in die beiden Begegnungen – und hatten auf der Rückreise nach Oldenburg völlig verdient die Silbermedaille im Gepäck. „Ich finde, wir haben das als Team unglaublich geil gespielt“, erzählte Julia Renner: „Es hat nicht nur unglaublich viel Spaß gemacht, wir können mit der gezeigten Leistung auch alle richtig stolz auf uns sein.“ Stolz – ein Wort, von dem auch Merle Carstensen nach dem Final4-Wochenende nur zu gerne sprach: „In einer Saison, in der wir uns immer wieder auch unglücklich geschlagen geben mussten, haben wir in den beiden Spielen gezeigt, was in uns steckt. Wir können richtig stolz darauf sein, was wir als Team geleistet haben.“

Die Europapokal-Qualifikation

Mit dem zweiten Platz im DHB-Pokal haben sich die Oldenburgerinnen auch für das internationale Geschäft qualifiziert. „Wir haben unser Ziel Klassenerhalt geschafft und mit der Finalteilnahme im Pokal noch einen draufgelegt“, konstatierte Coach Niels Bötel, der nicht von einem verlorenen Endspiel, sondern vielmehr über den „gewonnenen zweiten Platz“ sprechen wollte: „Das ist ein großer Erfolg und die Möglichkeit, europäisch zu spielen. Das wäre eine große Belohnung für die Mädels, die einfach ein sehr gutes Wochenende gespielt haben.“

Ob der VfL in der nächsten Saison auch wirklich international antritt, wird sich bis Anfang nächster Woche entscheiden. Nach dem Pokalgewinn 2018 hatten die Huntestädterinnen zuletzt die Chance, verzichteten aber. „Das schmerzt immer noch“, gesteht Lampe, der damals Co-Trainer der erfolgreichen Mannschaft war: „Ich habe Niels damals versprochen, dass wenn er es noch einmal schafft, ich alles geben werde, damit wir die Chance dieses Mal nutzen können.“ Unüberlegte Entscheidungen wird man im Oldenburger Lager trotz dieses Versprechens aber nicht treffen. „Wir werden nicht emotional, sondern rational entscheiden“, kündigt Lampe an: „Wir müssen es finanzieren können. Ich führe aktuell viele Gespräche und wir werden auch versuchen, die eine oder andere Aktion auf die Beine zu stellen.“

Sönke Spille