Pure Leidenschaft und Energie – 100 Jahre Handball im VfL Oldenburg

­­­Pure Leidenschaft und Energie – 100 Jahre Handball im VfL Oldenburg

Teil 3: Dies ist ein Gasthaus und kein Treibhaus­

  • Kleines Gedicht zum 100. Geburtstag
  • Der Erzähler bricht aus
  • Das Endspiel und die Feier – Fortsetzung
  • Acht Deutsche Jugend-Meistertitel
  • Ein Gastwirt bringt Ruhe ins Spiel
  • Barfuß im Regen
  • Zugabe

Viele Tore, viele Siege

Führten uns weit in die Welt

Langsam kamen wir auf Touren

 

Ohne das ganz große Geld

Leute kamen in die Hallen

Du und ich, wir war’n dabei

Ehrgeiz ließ die Korken knallen

Niederlagen machten frei                                   

Bälle wurden abgefangen

Und der Gegner war frustriert

Ruhig und gelassen spielen

Gemeinsam wurde abkassiert

Heute schauen wir zurück

Auf die Zeit, die einmal war

Niemand nimmt uns dieses Glück               

Das bis (über)morgen zählt, na klar

Beste Freunde, große Liebe

Alle zieh‘n an einem Strang

Langsam wachsen neue Triebe

Leichte Brise, weicher Klang

 

Jetzt kommt der Punkt, an dem der Erzähler aus seiner neutralen Sicht heraustritt und zum ersten, aber auch vielleicht zum letzten Mal persönliche Eindrücke aus der Ich-Perspektive von sich gibt. Alles dreht sich um die Frage, warum er das mache!? 

Am Stadtfest-Samstag habe ich auf dem Platz hinter der Lamberti-Kirche Sabine Dierkes getroffen. 1984 wurde sie als B-Jugendspielerin Deutscher Vizemeister und 1985 als A-Jugendliche Deutscher Meister. Wir sind beide 1968 geboren und kennen uns seit der 7. Klasse.

Pressefotos aus dem Jahr 1984 – 3 x Sabine Dierkes

 

Zwei Fragen waren gleich zu beantworten. Wie geht es Helga und was macht eigentlich Tybo? Es ist immer schön zu wissen, dass die Menschen, die diese Zeit in irgendeiner Form geprägt haben, immer noch in unseren Köpfen fest verankert sind. Spätestens am 22. Oktober, wenn wir alle den 100. Geburtstag der Handballabteilung feiern, kommen diese und andere Fragen wieder in den Fokus und werden hoffentlich alle beantwortet. Hier noch zwei wunderbare Photos von Helga Schumann und Petra Tyborczyk, beide aufgenommen in der Halle an der Rebenstraße im Abstand von sechs Jahren. An dem Ort, wo 1972 der Grundstein für eine jahrzehntelange erfolgreiche Handballarbeit gelegt worden ist, die bis zum heutigen Tag Bestand hat.

 

1977: Helga und Robert Schumann beim Training – ein schön gestelltes Bild für die Presse

1983: Petra Tyborczyk in ihrem Element – immer Vollgas, auf und auch neben dem Platz…

Manchmal macht es Sabine Dierkes ganz verrückt, wenn ich etwas von diesen Zeiten erzähle. Warum weißt Du das noch alles? Das ist eine gute Frage. Aber genauso könnte ich fragen, warum sie, die das alles doch hautnah erlebt hat, nicht mehr so genau wisse. Vielleicht ist die Antwort ganz einfach. Ich stand als Betrachter immer am Rand und habe alle Momente der großen Erfolge viel differenzierter wahrnehmen können. Ein Akteur oder eine Akteurin dagegen befindet sich emotional mitten im Geschehen und erlebt diese glücklichen oder unglücklichen Momente so hautnah und unmittelbar, dass für rationale Gedanken wenig Raum vorhanden ist.

Aber trotzdem ist die andere Frage noch nicht beantwortet worden. Warum hole ich alte Ordner aus dem Regal von Robert, setze ich mich an den Schreibtisch und verfasse Texte über eine alte, fast vergessene Zeit?

Die Antwort darauf gebe ich nicht selbst. Viele Menschen haben sich darüber immer wieder Gedanken gemacht. Vor drei Wochen war ich in Berlin bei den TOTEN HOSEN. Andreas Frege, besser bekannt als Campino, nimmt in dem Lied “Altes Fieber“ genau diese Geschichten in den Mittelpunkt seiner Betrachtung.  

Wir machen alte Kisten auf
Holen unsere Geschichten raus
Ein großer, staubiger Haufen Altpapier

Wir hören Musik von früher
Schauen uns verblasste Fotos an
Erinnern uns, was mal gewesen war

Und immer wieder
Sind es dieselben Lieder
Die sich anfühlen
Als würde die Zeit stillstehen

(…)

Denn es geht nie vorüber
Dieses alte Fieber
Das immer dann hochkommt
Wenn wir zusammen sind

Conny Kuck im Tor der Bundesliga-Mannschaft, Elke Dieken schaut zu …

 

1983 bin ich vom BTB zum VfL gewechselt. Conny Kuck, die ich als 9-jähriger Junge mit meinem Vater 1978 erst beim Halbfinale in der OTB-Halle und dann beim Endspiel in Brake um die Deutsche Meisterschaft das erste Mal hautnah erlebt habe, wurde in der B-Jugend meine Trainerin.

1983:  Conny trainierte diese Mannschaft von der E- bis zur B-Jugend

 

 

1985 durfte ich auf der Bank beim Rückspiel um die Niedersachsenmeisterschaft in Braunschweig Platz nehmen. Zu mehr hat es sportlich nicht gereicht. Das größte Spiel meines Lebens war wohl ein Trainingsspiel mit diesem A-Jugendteam (mit Ralf Hafemann, Thorsten Helms, Stefan Janßen, Thomas Bleeker, Detlev Kagelmann und Markus Stapenhorst – alle haben dann später unter Jürgen Carstens in der Regionalliga gespielt) am 05. Dezember 1984 gegen die Nationalmannschaft der Frauen in der Brandsweghalle. Aber die zwei Tore, die ich dort geworfen habe, stehen in keiner offiziellen Liste.

1985 – die männliche Jugend A von Werner Bokelmann

 

Diese Zeit von 1978 bis 1990 habe ich so intensiv wahrgenommen, dass sie sich fest in meinem Gedächtnis eingebrannt hat. Da gibt es Spiele, da gibt es Momente und da gibt es die Menschen, die mich immer sehr beeindruckt haben. Von ihnen habe ich viel gelernt, sie haben mich begleitet und wenn es mal wieder sein musste, auch ganz schön kritisiert.

Und natürlich sind diese Geschichten auch ein großer Dank genau an alle diese Menschen.

Eine große Schriftstellerin hat einmal gesagt, dass sie ihre Geschichten in erster Linie für sich selbst schreiben würde, um das Kind zu amüsieren, dass sie selbst einmal gewesen war.

Vielleicht ist das bei mir auch so… 

Sitze manchmal einfach da

Und denke hin und her

Die Handballzeit, ganz wunderbar

Sehe sie von mir ganz klar

Mein Leben kreuz und quer

So, jetzt aber wieder zurück in die Position des Zeitzeugen, der sich von außen die Dinge anschaut.

Im letzten Teil waren wir stehen geblieben im Jahr 1983. Das Lamberti-Eck wurde nach dem Finale um die Deutsche Meisterschaft von einer Eckkneipe in einen Tanzpalast transformiert, die Ehnernstraße für den Verkehr gesperrt und hunderte Menschen (Spielerinnen, Freunde und Fans) feierten bis in die frühen Morgenstunden, obwohl die Mannschaft um die Protagonistinnen Köster, Becker und Schmidt das Endspiel verloren hatten.  

Im Bundesligajahr 1982/83 erreichte die 1. Damenmannschaft zum ersten und einzigen Mal das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft. Zu dieser Zeit gab es noch die Zweigleisigkeit der 1. Liga, aufgeteilt in eine Nord- und eine Südstaffel. Um das Halbfinale zu erreichen, mussten die Spielerinnen vom Trainergespann Schumann/Bokelmann den 2. Platz erobern, denn der erste war für das Team von Bayer Leverkusen reserviert, das schon einige Jahre unter Profi-Bedingungen ins Rennen ging. In der Platzierung dahinter ging es oft um eine sehr hart umkämpfte Auseinandersetzung mit der zweiten Profimannschaft, dem VfL Engelskirchen mit der Rekordnationalspielerin Dagmar Stellberg. Auch in dieser Saison hatte der VfL Oldenburg im Konkurrenzkampf um den begehrten Halbfinalplatz am Ende einen minimalen Vorsprung. Vorentscheidend war im Februar 1983 der äußerst knappe 15:14 Auswärtssieg beim Angstgegner in Berlin.  Der Vater von Conny Kuck, der in der Innenstadt in der Ritterstraße ein Lampengeschäft besaß, spendierte 1000 Deutsche Mark und unterstützte damit das Bereitstellen von zwei Fan-Bussen zum kleinen Preis. Vielleicht waren diesmal die weit über 120 Schlachtenbummler ausschlaggebend, die ihr Team bis zum Schluss begeistert anfeuerten und somit zum wichtigen Sieg beigetragen haben.

1983: Robert Schumann hat neben der ausgeschnittenen Tabelle die Tordifferenzen der drei ersten Mannschaften ausgerechnet und notiert

Der Verfasser dieser Zeilen kann sich noch genau an diesen Tag erinnern. Für 16 Deutsche Mark konnte er als 14-jähriger Junge nach Berlin mitfahren. Zum ersten Mal sah er dort die Mauer und das verschlossene Brandenburger Tor. Und nach dem Spiel, Helga Schumann feierte ihren 46. Geburtstag, saß er mit der 16-jährigen Silke Combecher lange auf den Treppen vor der Schöneberger Sporthalle, da sich die Rückfahrt durch den Herzinfarkt eines älteren VfL-Fans um Stunden verzögerte.

2013: Die Sporthalle Schöneberg – 30 Jahre später

Der Rest ist schnell erzählt. Die Würzburgerinnen, die den ersten Platz in der Bundesliga Süd belegt hatten, konnten gegen den VfL-Express in beiden Halbfinalspielen nur hinterherlaufen und verloren zweimal mit 17:13 und 28:11. Eine Woche vor dem großen Deutschen-Meisterschafts-Finale gab es noch das DHB-Pokal-Halbfinale, dass die Frauen leider knapp mit 15:13 auch gegen Leverkusen verloren. So war alles fein ausgereichtet auf das Endspiel. Fast 1000 Oldenburger:innen begleiteten das Bundesliga-Team zum bis dahin größten Spiel der Vereinsgeschichte. Auch hier waren die Spielerinnen um Mannschaftskapitänin Rita Köster nicht in der Lage, die mit vielen Nationalspielerinnen ausgestattete Übermannschaft Bayer Leverkusen zu besiegen. Der Favorit siegte fast standesgemäß, doch der Jubel der mitgereisten Fans und die spätere die Vize-Meisterschaftsfeier kannte trotzdem keine Grenzen. Das Mannschaftsfoto nach der Niederlage mit den Medaillen um den Hals und dem Vize-Meisterwimpel zeigt ein zwar abgekämpftes und enttäuschtes Team, das wieder eine unglaubliche und mitreißende Saison abgeliefert hat, die aber leider mit einem Titel nicht gekrönt werden sollte.

Wer konnte zu diesem Zeitpunkt schon ahnen, dass diese Mannschaft ein Jahr später wieder ein Finale verlieren, aber von 4000 Zuschauern bei der Ehrenrunde mit einem von den Fans selbstkreierten überdimensionierten Pokal überschäumend angefeuert werden würde. Aber das ist eine Geschichte aus dem nächsten Teil…

12. Juni 1983 in Lübbecke: Deutscher Vize-Meister

  

Da waren sie wieder, die kleinen Mäuschen, die sich mit ihrem großen Enthusiasmus und einem unbändigen Willen gegen die großen Katzen im Konzert der Großen mit einem kleinen Stück Käse zufriedengeben mussten. Für den ganz großen Kuchen hatte es in dieser Ära nach dem Pokalsieg 1981 nie wieder gereicht. 28 Jahre mussten ins Land ziehen, erst dann konnte 2009 (ich nenne sie jetzt die Julia-Renner-, die Kim Birke-, die Leszek-Krowicki-, die Kathrin- Scholl-, die Wiebke-Kethorn- und die Angie-Geschke-Zeit) wieder ein großer Fisch an Land gezogen werden. Aber das war schon eine andere Zeit, weit weg von den Jahren des Amateursportes. Und trotzdem war es die größte Zeit, die die Handballabteilung in den Jahren bis zur Wiedervereinigung im November 1990 erlebt hatte. Denn neben den großartigen Erfolgen in Bundesliga- und Europapokalspielen waren es die weiblichen A- und B-Jugendteams, die von 1978 bis 1990 insgesamt elfmal im Finale um eine Deutsche Jugendmeisterschaft gestanden haben. Insgesamt hat die Handballabteilung acht Deutsche Jugendmeisterschaften gewonnen. Und damit auch niemand die Spielerinnen dieser wunderbaren Mannschaften vergisst, werden sie nach und nach alle namentlich aufgeführt.  

12. Juni 1978 – Eine ganze Seite nur Handball vom VfL Oldenburg. Nur auf der Sportseite 5, weil in Argentinien die Fußball-Weltmeisterschaft läuft.

40 Jahre später gibt es zum Jubiläum auch einen fast einseitigen Artikel über den ersten Deutschen Jugendmeister-Titel.

Dieser Artikel ist am Ende wieder als PDF-Datei zu lesen.

1978 weibliche Jugend A Deutscher Meister

1984weibliche Jugend A Deutscher Meister

1985 weibliche Jugend B Deutscher Meister

1985 weibliche Jugend A Deutscher Meister

1986 weibliche Jugend B Deutscher Meister

1988 weibliche Jugend B Deutscher Meister

1988 weibliche Jugend A Deutscher Meister

1990 weibliche Jugend A Deutscher Meister

Jede Meisterschaft zog eine rauschende Feier nach sich. Die Blaupause für solche Superfeten war natürlich die schon weiter oben beschriebene Vize-Meisterschaftsfeier der Bundesliga-Damen im Juni 1983. Vor der kommenden Saison wurde in der NWZ zum Start in ein neues Bundesligajahr das Lambert-Eck mit seinen Gepflogenheiten genaustes charakterisiert.

NWZ vom 22. September 1983: Jupp Meyer hat alles im Griff

Damit sich die Leserin oder der Leser, der nicht live dabei gewesen waren, ein Bild machen können, werden hier fast unkommentiert drei Schnappschüsse der Meisterschaftsfeier von 1988 (im Regen) präsentiert. Was leider auf diesen Bildern fehlt, ist die Musik, die aus den Boxen dröhnt. Ja, es waren die Singles vom Markus Stapenhorst und die grandiosen Ansagen von Heiko Prante, die die Straße zum Beben brachten. Ob Kylie Minogue mit I Should Be So Lucky oder die Bee Gees mit You Win Again, ob Michael Jackson, Nena oder Herbert Grönemeyer, alle fühlten sich fast unsterblich und fragen sich manchmal noch heute, wo die Zeit und all die ganzen Jahre geblieben sind.

Auf der Ehnernstraße wird auch – trotz der kleinen rotweißen Absperrkette – mitten auf der Straße getanzt

Vivien Eickhoff, Regina Vergien und Kerstin Klossek feiern die deutsche A-Jugend-Meisterschaft, Steffi Lorenz freut sich über den B-Jugend-Titel

Die beiden Weather Girls Heike Zornow und Anja Konen tanzen barfuß im Regen, vielleicht passend zu It’s Raining Men…

Und wenn jetzt Heike Zornow fragt, warum es von ihr nur Photos von Partys oder Bilder direkt aus der Badewanne gebe, dann haben wir jetzt hier zwei schöne Exemplare aus dem Archiv von Robert. Sie spielt aber 1989 nicht für, sondern mit dem Berliner TSV Tempelhof-Mariendorf gegen den VfL.

16. Oktober 1989: Heike Zornow hält das Unentschieden am 2. Spieltag fest

Doch kommen wir zurück zu den Zeiten, wo es auch weniger aufregend zur Sache ging. Wenn ein Deutscher Meister abgekämpft erst Sonntagnachmittag das Lamberti-Eck erreicht. Dann gibt es einen etwas ruhigeren Empfang. So geschehen 1986 bei der Rückkehr aus Berlin. 

Geert Claussen, der damalige erste Vorsitzende, der über Jahrzehnte das Ruder des VfL Oldenburg fest und souverän in der Hand gehabt hat, empfängt die Spielerinnen, wie es sich für einen souveränen Leiter gehört. Er hält eine kurze, aber bewegende Rede und bedankt sich auch bei den vielen ehrenamtlichen Helfern und natürlichen den Eltern der Spielerinnen, die ihren Kindern hinsichtlich ihres Sportes immer den Rücken freigehalten haben.

Das ist ja fast eine perfekte Überleitung, denn Geert Claussen ist immer noch am Puls der Zeit. Er liest neben der aktuellen Nordwest-Zeitung auch immer noch parallel die Ausgaben vor 20 und vor 50 Jahren. Und so hat er vor zwei Wochen einen Artikel ausgegraben, der die Jubiläumswochen der Handballabteilung vor einem halben Jahrhundert dargestellt hat.

Wir haben ja noch gut fünf Wochen Zeit, bis wir unser Jubiläum feiern. Ob es da noch möglich ist, auch internationale Gäste einzuladen? Sollte das nicht der Fall sein, würden wir uns sicher auch über Renate Wolf und Dagmar Stellberg freuen, die den deutschen Handball international vertreten haben und bei uns immer gute Gäste waren…

Zugabe:

PDF zum Download: 1978 – VfL Oldenburg – Deutsche Meisterschaft Handball weibliche Jugend A